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Schwäbisch Gmünd, April 2024: An diesem Sonntagvormittag muss die Parteivorsitzende eine Schalte mit der SPD-Spitze organisieren, es sind schlimme Zeiten. Zeiten, in denen jedes Wort offenbar auf die Goldwaage gelegt werden muss, stets in der Sorge, dass ein Wort, ein Halbsatz für eine Schlagzeile herhalten muss. Es ist aber auch die Angst davor, den Ton des Mainstreams zu verfehlen und dafür brutal abgestraft zu werden. So treffen klar formulierte Fragen auf blutleere Antworten.

Frau Esken, Krieg und Frieden bestimmen die öffentliche Debatte. Und ich frage mich, was ist los in Deutschland, wenn als Lumpenpazifist gilt, wer nach Verständigung und Diplomatie ruft und die Ostermarschierer als realitätsferne Idioten beschimpft werden?

Mir ist die Debatte in Deutschland bei diesem Thema derzeit zu eindimensional. Für die SPD ist klar:Es muss neben der Herstellung der Wehrhaftigkeit, um das Land und das Bündnis zu verteidigen, auch um die Stärkung der Diplomatie gehen. Beispielsweise unterstützen wir die Ukraine so lange militärisch, finanziell und humanitär, wie es notwendig ist, und gleichzeitig müssen alle diplomatischen Kanäle offengehalten werden. Es gibt im Übrigen eine Person, die diesen Krieg und damit das Leid so vieler Menschen sofort beenden könnte, und das ist Putin.

Was ist los in einer Gesellschaft, in der der Papst mahnt, die Ukraine sollte den Mut haben, eine "weiße Fahne" zu hissen und ein Ende des Krieges mit Russland auszuhandeln, und man fällt über ihn her, als hätte er für die Todesstrafe plädiert?

Die Ukraine verteidigt nicht nur ihr Land mit großem Mut, sondern auch unsere westlichen Werte und nicht zuletzt die Demokratie gegen einen autokratischen Herrscher, der unsere Freiheit und unsere offene Gesellschaft verachtet. Einen Diktatfrieden Russlands darf es nicht geben.

Die Schriftstellerin Eva Menasse kritisiert den Bekenntniszwang, der zu Duckmäuserei und einem Zerfall der Öffentlichkeit führt.

Bei dieser Debatte geht es auch um die sozialen Medien und die Strukturen, wie Medien, auch die klassischen, heute aufgenommen werden. Aussagen werden teilweise verkürzt und zugespitzt. Das führt zu Missverständnissen und zur Verkürzung der Argumentation. Das ist das Problem der Medienöffentlichkeit.

Also traut sich kaum jemand mehr aus der Deckung?

Ich nehme für mich durchaus in Anspruch, die Dinge so klar wie möglich darzustellen.

Sie haben die Verkürzung der Argumentation angesprochen. Wenn von Anton Hofreiter bis Marie-Agnes Strack-Zimmermann ein "Deutschland-muss-wieder-kriegstüchtig-Geschrei" angestimmt wird, dann wird’s doch eindimensional.

Ich sage ja nicht, dass die Verkürzung nur eine Sache der Medien ist. Natürlich nutzen das alle, die Aufmerksamkeit für sich erreichen wollen. Das funktioniert mit provozierenden Aussagen, was an sich nicht verwerflich ist. Aber es kann in diesen schwierigen internationalen Zeiten zu einer Verschärfung der Debatte führen, die das Thema Krieg und Frieden überhaupt nicht verträgt, noch dazu aus den Reihen der Regierungskoalition. Deshalb bin ich froh, dass der Kanzler seinen Kurs der klaren Unterstützung der Ukraine fährt, sich international abstimmt und gleichzeitig darauf achtet, dass Deutschland nicht Kriegspartei wird.

Politiker:innen, die laut schreien, bestimmen aber die öffentliche Debatte. Das führt dazu, dass die Bürger:innen besser über Taurus, Leopard und Kampfjets informiert sind als über Friedensüberlegungen und Gedanken zu einem Ende des Ukrainekriegs. Wie wollen Sie das durchbrechen?

Die Ukrainer:innen wünschen sich sicher noch mehr als viele Deutsche endlich Frieden. Aber es darf in Europa nicht passieren, dass Grenzen militärisch verschoben werden, das ist eine Erkenntnis, die wir im Zweiten Weltkrieg gewonnen haben. Wer die Schlussakte von Helsinki mit Füßen tritt, muss mit Widerstand rechnen.